«Tumarkin ist das kostbarste Geschenk, welches Russland der Schweiz vermacht hat.» (Gustav E. Müller, 1975)

Anna Tumarkin
Undatiertes Porträt von Anna Tumarkin, gezeichnet von Theodora Reineck.

Anna Tumarkins akademische Karriere begann an der Universität Bern nach dreijährigem Studium und dem Bestehen ihres Doktorexamen 1895 mit Bestnote. Ihr Doktorvater Ludwig Stein (1859‒1930) riet ihr danach zu weiteren Studien in Berlin und empfahl sie dem renommierten Philosophieprofessor Wilhelm Dilthey (1833‒1911). Er ermöglichte ihr, sich an der Berliner Universität auf dem Gebiet der Ästhetik zu spezialisieren. Schnell entstand eine auf Augenhöhe basierende Freundschaft zwischen den beiden Gelehrten. Diltheys Frau bestätigte dies in einem späteren Brief an Tumarkin: «Ihnen war mein Mann allezeit mit warmem Interesse zugetan. Immer hat er mit Liebe Ihr Leben, Ihr Wirken verfolgt.» 

Alter Hörsaal der Universität bern
Anna Tumarkin hielt an der Universität Bern ihre Vorlesungen im Hörsaal Nr. 34 (heute Nr. 114) im ersten Obergeschoss des Hauptgebäudes

1898 kehrte Tumarkin an die Universität Bern zurück, habilitierte als erste Frau in Bern und erhielt die Lehrerlaubnis. Höhepunkt ihrer Karriere war im Februar 1909 die Ernennung zur ersten ausserordentlichen Professorin Europas. Eindrückliche 91 Semester zählte Tumarkins Lehrtätigkeit an der Universität Bern; 1943 trat sie aus gesundheitlichen Gründen aus dem Universitätsdienst aus.  

Tabellarische Darstellung von Tumarkins biografischen Stationen

 
Datum/Jahr Alter Ereignis Ort

16.02.1875 

0

Geburt Anna Tumarkin; Kind aus der zweiten Ehe von Pavel Tumarkin mit Sofia Herzenstein 

Dubrowna, Zarenreich (heute Belarus) 

Frühe Kindheit 

Übersiedelung nach Kischinew/Chişinău in Bessarabien 

Chişinău, Zarenreich (heute Republik Moldau)

1881-1885 

6-10

Privatunterricht 

Chişinău 

1885-1891 

10-16

Mädchengymnasium der bessarabischen Zemstvo 

Chişinău 

1892 

17

Lehrerinnenausbildung 

Chişinău 

1892 

17

Ankunft in der Schweiz und Immatrikulation an der Universität Bern im Fach Philosophie 

Bern 

11.07.1895  

20

Doktorexamen mit Bestnote bestanden. Titel der Doktorarbeit: Herder und Kant. Bern: Siebert, 1896 (= Berner Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte, Band 1). 

Bern

1895-1898 

20-23

Studium in Berlin, spezialisierte sich auf Ästhetik unter der Leitung von Wilhelm Dilthey 

Bern

22.06.1898  

23

Habilitation und Venia docendi 

Berlin 

1889/99 

24

Als erste weibliche Dozentin Lehrtätigkeit mit einer Vorlesung über die «Ästhetik der deutschen Klassiker» 

Bern 

01.01.1905  

30

Zuerkennung Dozentenhonorar 

Bern 

05.06.1906 

31

Ernennung zur Titularprofessorin  

Bern 

03.02.1909 

33

Beförderung zur ausserordentlichen Professorin;  Berechtigung,  Dissertationen zu begutachten und Doktorexamen abzunehmen  

Bern 

Wintersemester 1909/10 

34

Stellvertreterin von Prof. Ludwig Stein 

Bern 

8. Juli 1910 

35

Abnahme von zwei Doktorexamen  

Bern 

23.01.1910 

34

Bewerbung auf die Nachfolge des Ordinariats Stein 

Bern 

Seit 1912 

seit 37

Tumarkin zieht in Bern mit Ida Hoff zusammen 

Bern 

1918 

43

Chişinău geht an Rumänien über, Tumarkin wird daraufhin mit ungültig gewordenem Pass staatenlos 

Bern 

28.11.1921 

46

Tumarkin erhält das Bürgerrecht in der Schweiz 

Bern 

1925 

52

Besuch der alten Heimat mit Ida Hoff 

Chişinău, Rumänien 

1927  

54

Griechenlandreise 

Griechenland 

1928 

53

Arbeit an einem Sonderkatalog «Verzeichnis der Publikationen von Schweizerfrauen» für die SAFFA 

Bern 

1935 

60

60. Geburtstag von Anna Tumarkin 

Bern 

28.11.1937 

62

Verleihung des Theodor-Kocher-Preises 

Bern 

1937 

62

Besuch der alten Heimat mit Ida Hoff 

Chişinău, Rumänien 

1939 

64

Tumarkin wird für weitere 6 Jahre als Professorin bestätigt 

Bern 

8.10.1943 

68

Aus gesundheitlichen Gründen Rücktritt aus dem professoralen Dienst 

Bern 

7.08.1951 

76

Tod von Anna Tumarkin 

Gümligen 

Die biographischen Angaben in der Tabelle wurden mit Angaben aus folgender Fachliteratur erstellt:  

  • Lemma «Tumarkin, Anna». In: Archiv Bibliographia Judaica (Hg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Band 20: Susm–Zwei. Berlin, Boston 2012, S. 141–144. 
  • Rogger, Franziska: Anna Tumarkin (1875–1951): Das schicksalhafte Leben der ersten Professorin. Bern 2025.  
  • Rogger, Franziska: Die Philosophin Anna Tumarkin: Europas erste prüfende Dozentin. In: dies.: Der Doktorhut im Besenschrank. Das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen - am Beispiel der Universität Bern. 2. Aufl. Bern 2002, S. 164‒175.  
  • Zabolotnaia, Lilia: Anna Tumarkin - The First Female Doctor of Philosophy in Europe: The Unknown Pages of Her Life. In: International Relations and Diplomacy 2/5 (May 2014), S. 354‒360.  

Autorin: Noëlle Billaud 

Bildquelle:  StABE N Tumarkin 1/14 / Gustav Grunau: Das neue Universitätsgebäude auf der Grossen Schanze in Bern, entworfen und ausgeführt von den Architekten A. Hodler und E. Joos in Bern. Bern 1908, S. 55.